AGRANA-Geschäftsführer Markus Mühleisen im Gespräch. Foto: Sabine Klimpt
Herr Mühleisen, Sie leiten seit Juni 2021 die Geschäfte von AGRANA. Die Coronakrise war schon eine Herausforderung für Ihr Unternehmen. Dann traten Probleme in den Lieferketten auf und nun der Krieg in der Ukraine. Welche Schwerpunkte setzen Sie aktuell?
Markus Mühleisen: AGRANA ist ein international ausgerichtetes österreichisches Industrieunternehmen. Wir veredeln landwirtschaftliche Rohstoffe zu industriellen Produkten für die weiterverarbeitende Industrie. Seit Beginn der Pandemie hat AGRANA ohne Unterbrechung die Versorgung der Bevölkerung mit ihren Produkten sichergestellt und damit ihre Verantwortung als Unternehmen der kritischen Infrastruktur bewiesen.
Zweifellos kam mit Ausbruch des Ukraine-Kriegs eine Verschärfung der Situation bei den Lieferketten und der Rohstoff- sowie Energiebeschaffung hinzu. Wir werden unsere Aufgabe als Nahrungsmittellieferant weiter gut erfüllen und sehen uns trotz der Herausforderungen dafür gut gerüstet.
Welche Auswirkungen hat der Krieg konkret auf AGRANA?
Mühleisen: Als Unternehmen mit Tochtergesellschaften beziehungsweise Produktionsstandorten in der Ukraine und in Russland sind wir direkt vom Krieg betroffen. Unmittelbar nach Kriegsausbruch wurde die Produktion in der Ukraine stillgelegt und wird temporär – je nach aktueller Sicherheitslage – hochgefahren.
Welche Betriebe und Aktivitäten haben Sie in der Ukraine?
Mühleisen: Wir sind seit 1997 in der Ukraine tätig und beschäftigen dort rund 600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. In Vinnitsa (300 Kilometer südwestlich von Kiew) verarbeiten wir Früchte zu Fruchtzubereitungen für die Molkereiindustrie sowie zu Fruchtsaftkonzentraten für Getränkehersteller. Daneben betreiben wir im ukrainischen Luka einen eigenen landwirtschaftlichen Produktionsbetrieb für Früchte für den regionalen Frisch- und Verarbeitungsmarkt.
Wie helfen Sie Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dort?
Mühleisen: Wir haben rasch einen Krisenstab aufgesetzt, der sich täglich mit unserem ukrainischen Krisenteam austauscht, um auf aktuelle Entwicklungen möglichst schnell reagieren zu können. Das umfasst auch verschiedene humanitäre Aktivitäten wie zum Beispiel einen von uns eingerichteten Soforthilfefonds sowie die Unterbringung von geflüchteten Kolleginnen und Kollegen und deren Angehörigen in unseren Werksunterkünften in Rumänien, Polen, der Slowakei und Österreich. Aktuell sind das bisher rund 40 Familien.
Wir haben rasch einen Krisenstab aufgesetzt, der sich täglich mit unserem ukrainischen Krisenteam austauscht, um auf aktuelle Entwicklungen möglichst schnell reagieren zu können.
Markus Mühleisen, Vorstandsvorsitzender AGRANA Beteiligungs-AG
Haben Sie auch Betriebe in Russland – und wie planen Sie dort vorzugehen?
Mühleisen: In Russland ist AGRANA ausschließlich im Segment Frucht präsent. In Serpuchov, rund 100 Kilometer südlich von Moskau, werden Fruchtzubereitungen hergestellt und knapp 300 Personen beschäftigt. Wir produzieren dort für den regionalen Markt, das heißt, die Fruchtzubereitungen werden in Russland und anderen GUS-Staaten abgesetzt.
AGRANA versucht ihren Aufgaben als Lieferant von essentiellen Grundnahrungsmitteln weiter nachzukommen sowie den Lebensmittelbedarf der lokalen Bevölkerung zu decken und plant daher derzeit keinen Rückzug aus Russland. Wir stehen hinter den politisch gegen Russland verhängten Sanktionen und haben uns darüber hinaus entschlossen, vorerst keine weiteren Investitionen in Russland zu tätigen. Wir beobachten genau die weitere Entwicklung und bewerten unser Engagement in Russland laufend.
Sind Sie mit den Werken in Österreich von der Diskussion um russisches Gas betroffen?
Mühleisen: Ja, der Gasanteil an unserem Energiemix betrug 2020/21 in Österreich rund 60 Prozent. Wir haben an den heimischen Standorten jedoch eine gute Eindeckungsrate. Für den Fall eines Gaslieferstopps müssten wir kurzfristig für die Aufrechterhaltung der Produktion nach alternativen Energieträgern suchen, die aber fossilen Ursprungs sind. Mittelfristig zielt unser Energiemanagement darauf ab, fossile Energieträger durch erneuerbare Energieformen zu ersetzen.
Welche Auswirkungen auf AGRANA haben die weltweiten Probleme in den Lieferketten?
Mühleisen: Wir haben momentan keine Versorgungsengpässe in unseren Werken. Wir planen die unterschiedlichsten Szenarien und beobachten die aktuellen Entwicklungen sehr genau. Klar ist, dass mit Fortdauer des Kriegs die Herausforderungen bei den globalen Lieferketten größer werden. Momentan fahren alle auf Sicht.
Wie schätzen Sie die Auswirkungen durch das Lieferkettengesetz in Deutschland ein?
Mühleisen: Wir sind für das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz gut vorbereitet. AGRANA hat seit vielen Jahren einen Verhaltenskodex, der Teil aller Beschaffungsverträge ist und alle relevanten Themen abdeckt. Darüber hinaus laden wir unsere Lieferanten dazu ein, an der „Supplier Ethical Exchange Database“ (SEDEX) teilzunehmen und die Ergebnisse ihrer Selbstbewertung zu Sozialstandards im Unternehmen beziehungsweise möglichst auch darauf basierende externe Audits mit AGRANA zu teilen, um so die Einhaltung von Sozialkriterien in der Lieferantenauswahl sicherstellen zu können.
Wir sind für das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz gut vorbereitet. AGRANA hat seit vielen Jahren einen Verhaltenskodex, der Teil aller Beschaffungsverträge ist und alle relevanten Themen abdeckt.
Markus Mühleisen, Vorstandsvorsitzender AGRANA Beteiligungs-AG
Wenn man die drei Bereiche Frucht, Stärke und Zucker ansieht – wie haben sich diese generell entwickelt?
Mühleisen: Durch das dritte Standbein Frucht, das 2003 hinzukam und stetig ausgebaut wurde, haben sich natürlich auch die Umsätze neu verteilt. Mittlerweile kommt fast die Hälfte unseres Konzernumsatzes aus diesem Bereich. Wir sind mit unserem diversifizierten Portfolio und den drei Segmenten Frucht, Stärke und Zucker sehr gut positioniert und in jedem Segment gibt es Potenziale für eine erfolgreiche Weiterentwicklung, an der wir derzeit intensiv arbeiten.
Wie trifft AGRANA der Strukturwandel in der Landwirtschaft?
Mühleisen: AGRANA steht an einer wesentlichen Schnittstelle der modernen Gesellschaft zwischen dem Klimawandel, einer wachsenden Weltbevölkerung bei gleichzeitig erodierenden Anbauflächen und dem fortschreitenden Strukturwandel in der Landwirtschaft. Das ist ein riesiges Spannungsfeld und eine enorm große Herausforderung, der wir uns stellen wollen. Zur Lösung dieser Aufgabe braucht es aber auch eine Koalition der Willigen, gebildet aus den Bereichen Politik, Landwirtschaft, Technik/Innovation und Gesellschaft.
Stichwort Bio-Ethanol: Ist die Beimischung zu Kraftstoff (E10) vom Tisch oder eine nie umgesetzte Chance?
Mühleisen: Wir hoffen, dass die Politik diese Chance für mehr Klimaschutz noch ergreift. Denn eine Erhöhung der Ethanol-Beimischung zu Benzin von aktuell 5 auf 10 Prozent wäre ein sofort umsetzbarer Weg, Treibhausemissionen nachhaltig zu senken. Aber aktuell wird ja angesichts drohender Getreideengpässe politisch über einen vorläufigen Totalstopp von Biotreibstoffen diskutiert. Doch ein Aussetzen der Bioethanolproduktion in unserem Werk im niederösterreichischen Pischelsdorf wäre völlig kontraproduktiv. Denn sie ist ein wertvolles Zahnrad der Bioraffinerie Pischelsdorf, die als Musterbeispiel einer gelebten Kreislaufwirtschaft gilt und wo viele wertvolle Produkte aus nur einem Rohstoff erzeugt werden.
Die Bioethanolproduktion ist ein wertvolles Zahnrad der Bioraffinerie Pischelsdorf, die als Musterbeispiel einer gelebten Kreislaufwirtschaft gilt und wo viele wertvolle Produkte aus nur einem Rohstoff erzeugt werden.
Markus Mühleisen, Vorstandsvorsitzender AGRANA Beteiligungs-AG
Sie sehen hier also die Gefahr, das Kind mit dem Bad auszuschütten?
Mühleisen: Ja, denn wir stellen in Pischelsdorf zunächst Weizenstärke her. Die ungenutzt bleibenden Rohstoffbestandteile gehen in die Bioethanolerzeugung sowie in die Herstellung von gentechnikfreiem Eiweißfuttermittel. Letztere ersetzt den EU-Import von rund 200.000 Tonnen gentechnisch verändertem Sojaschrot aus Übersee. Gluten, essenziell in der Backwarenherstellung, und biogenes CO2 für die Getränkeindustrie sind weitere Beispiele für Koppelprodukte aus der Bioraffinerie Pischelsdorf.
Ein Aussetzen der Beimischung von Bioethanol hätte daher eine Reihe von negativen wirtschaftlichen und ökologischen Effekten: nämlich eine Einschränkung bei der Versorgung mit Grundstoffen der Lebensmittelproduktion und mit ohnehin knappen Futtermitteln. Darüber hinaus würde sich der Treibhausgasausstoß des Verkehrssektors deutlich erhöhen, weil ein Gesamteinsparungspotenzial von rund 380.000 Tonnen CO2-Äquivalent pro Jahr verloren ginge.
Was ist Ihr Lieblingsgericht?
Mühleisen: Ich habe – je nach nationaler Küche – viele Lieblingsgerichte, aber in Österreich ist es definitiv das Wiener Schnitzel.
Weitere Informationen zum Unternehmen: agrana.com.
Dkfm. Markus Mühleisen, MBA, ist seit 1. Juni 2021 Vorstandsvorsitzender der AGRANA Beteiligungs-AG. Markus Mühleisen absolvierte ein Wirtschaftsstudium an der Universität Mannheim und machte einen Master of Business Administration an der Schulich School of Business, York University, Toronto, Kanada. Er war in verschiedenen Managementpositionen tätig und verfügt über rund 20 Jahre internationale Erfahrung in der Nahrungs- und Genussmittelindustrie, unter anderem bei Nestlé, General Mills und der internationalen Molkerei-Gruppe Arla Foods.
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