Gerald Hackl, Vorstandsvorsitzender der VIVATS Gruppe, im Gespräch.

Foto: VIVATIS / Wakolbinger

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„Beim Essen versuchen die Leute zu sparen“

Über die Lebensmittel­produktion am Standort Österreich, Ernährungstrends und selbstfahrende Autos: Gerald Hackl, Vorstands­vorsitzender der oberöster­reichischen VIVATIS-Gruppe, im Gespräch mit der Zeitschrift „Die Ernährung“.

Mit rund 2.700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zählt die VIVATIS-Gruppe zu den größten rein österreichischen Unternehmen der Nahrungs- und Genussmittelbranche. Welche Vor- und Nachteile hat der Standort Österreich?

Gerald Hackl: Der Standort Österreich ist prinzipiell ein sehr guter. Wir haben Rechtssicherheit, gut ausgebildete Arbeitskräfte und ein hohes Maß an Sicherheit. Die unglaublichen Auswüchse der Bürokratie hingegen hemmen die Weiterentwicklung in einem enormen Ausmaß. Mir kommt das so vor, wie wenn Sie in Ihrem eigenen Haus allen Komfort haben, aber im Swimmingpool dürfen Sie erst schwimmen, wenn Sie drei Mal geduscht haben, im Garten dürfen Sie nicht barfuß gehen, weil Sie sich verletzen könnten und beim Fernsehen müssen Sie gerade auf einem Sessel sitzen, statt auf der Couch zu liegen und müssen zuerst fragen, bevor Sie den Sender wechseln dürfen.

Welche Wünsche haben Sie dabei an die Politik?

Hackl: Die Bürokratie und der Verwaltungsaufwand müssen verringert werden. Mein Eindruck ist, dass wir in Österreich übertreiben. Wir haben eine gute Kultur bei der Lebensmittelherstellung, Audits machen grundsätzlich Sinn, um eine Einordnung zu haben, und der Fachverband als Interessensvertretung leistet gute Arbeit. Aber wir haben in Europa unterschiedliche Niveaus bei den Audits, bei den Löhnen, beim Umgang mit der Arbeitszeit und bei der Ausbildung. Das führt dazu, dass beispielsweise Margarine aus einem anderen EU-Land sehr viel billiger angeboten werden kann als eine in Österreich hergestellte. Das verringert unsere Marktchancen und bewirkt, dass heimische Unternehmen kaum Gewinn machen und somit auch keine Investitionen mehr möglich sind. Wir verlieren als Standort in Europa damit an Boden.

Steuern steuern Verhalten nicht. Wir brauchen keine Steuern, keine Ampeln und keine Reformulierung. Das ist der falsche Weg. Das entmündigt Bürgerinnen und Bürger und bringt nicht den gewünschten Lenkungseffekt.

Gerald Hackl, Vorstandsvorsitzender der VIVATS Gruppe, im Gespräch.

Gerald Hackl, Vorstandsvorsitzender der VIVATIS Holding AG

Herkunftskennzeichnung ist ein immer wiederkehrendes Thema. Wie stehen Sie dazu? Wo ist die Grenze zwischen wertvoller Unterstützung der Kaufentscheidung und Mehrkosten, die von Konsumentinnen und Konsumenten nicht bezahlt werden?

Hackl: Ich halte es dabei mit einem oberösterreichischen Spruch: „Z’weng und z’vü is Narrenzü.“ Denken Sie an Verarbeitungsprodukte, für deren Herstellung es in Österreich entweder nicht genug oder gar keine Rohstoffe gibt – zum Beispiel Reis oder Pfeffer. Wie wollen Sie damit umgehen? Die Qualität kann ja auch stimmen, wenn ein Rohstoff seinen Ursprung nicht in Österreich hat. Und wenn ich den Lieferanten wechseln muss, weil es zum Beispiel eine Dürre gab, müsste ich die gesamte Verpackung umstellen. Das verursacht hohe Kosten, die niemand zahlen will. Als Patriot sehe ich Österreich als Ganzes und möchte immer den wertbestimmenden Anteil des Produktes aus Österreich haben. Dafür haben wir das AMA-Gütesiegel und das AMA-Biozeichen. Das ist staatlich geregelt und eine gute Lösung. Aus meiner Sicht zählt Österreich mehr als eine Region.

Wie stehen Sie zu Steuern auf einzelne Bestandteile von Lebensmitteln wie Fett, Zucker oder Salz? Und wie zu gesetzlichen Vorgaben zur Reformulierung in diesem Sinne?

Hackl: Steuern steuern Verhalten nicht. Wir brauchen keine Steuern, keine Ampeln und keine Reformulierung. Das ist der falsche Weg. Das entmündigt Bürgerinnen und Bürger und bringt nicht den gewünschten Lenkungseffekt. Wir erleben das immer wieder bei einem unserer Unternehmen, das 300.000 Menschen pro Tag mit Essen versorgt. Für Kindergärten und Schulen wird da streng nach den Richtlinien gekocht. Und dann beschweren sich die Mütter, dass das Essen nach nichts schmeckt und wir bei den Kindern sparen wollten. Sie salzen selbst nach, bis die Suppe „voll“ schmeckt. Das ist vermutlich dann in Summe mehr, als wenn wir gleich eine „volle“ Suppe herstellen, die nicht nachgesalzen wird. Viel wichtiger wäre die Information, dass ein ausgewogener Lebensstil der richtige Ansatz ist und nicht der vom Staat erzwungene permanente „Verzicht“ auf etwas. Das lassen sich die Menschen nicht gefallen, denke ich. Da hilft Wissen mehr als Ideologie.

Wir erleben das immer wieder bei einem unserer Unternehmen, das 300.000 Menschen pro Tag mit Essen versorgt. Für Kindergärten und Schulen wird da streng nach den Richtlinien gekocht. Und dann beschweren sich die Mütter, dass das Essen nach nichts schmeckt und wir bei den Kindern sparen wollten. Sie salzen selbst nach, bis die Suppe ‚voll‘ schmeckt.

Gerald Hackl, Vorstandsvorsitzender der VIVATS Gruppe, im Gespräch.

Gerald Hackl, Vorstandsvorsitzender der VIVATIS Holding AG

Wie ist Ihre Position zu den Eigenmarken im Lebensmitteleinzelhandel, deren Anteil laufend steigt?

Gerald Hackl: Internationale Konzerne können Kosten und Gewinne auch international verteilen. Das kann ein österreichisches Produktionsunternehmen nicht. Nur starke Marken verdienen Geld. Handelsmarken sind am Ende kein Vorteil, wenn die Preisdifferenz zu groß ist. Der Konsument versteht nicht, warum er für ein Produkt aus einem Eigenmarkenprogramm eines Lebensmittelhändlers zum Beispiel nur 69 Cent zahlt und für die Originalmarke 1,19 Euro oder oft mehr. Das macht sowohl die Preise als auch den Wert der Lebensmittel zunichte und ist aus meiner Sicht nicht der richtige Weg.

Der Preis von Lebensmitteln ist also ein wichtiges Argument für die Konsumentinnen und Konsumenten?

Hackl: Ich sehe das bei meinen Freunden – da zählt dann auf einmal nur mehr der Preis, weil sie sagen: Warum soll ich mehr zahlen? Und das, obwohl wir in Österreich im Durchschnitt nur zehn Prozent unseres Einkommens für Lebensmittel ausgeben. Beim Urlaub oder dem Auto sind zehn Euro kein Thema, beim Essen aber versuchen die Leute, zehn Cent zu sparen – zum Beispiel bei der Milch. Rechnen Sie das hoch: Würden Sie jede Woche einen Liter Milch trinken und sich dabei zehn Cent sparen, sind das im Jahr nur fünf Euro. Dafür setzen wir die Existenz unserer eigenen Land- und Verarbeitungswirtschaft aufs Spiel? Das verstehe ich nicht.

Beim Urlaub oder dem Auto sind zehn Euro kein Thema, beim Essen aber versuchen die Leute, zehn Cent zu sparen – zum Beispiel bei der Milch. Das verstehe ich nicht.

Gerald Hackl, Vorstandsvorsitzender der VIVATS Gruppe, im Gespräch.

Gerald Hackl, Vorstandsvorsitzender der VIVATIS Holding AG

Welche Bedeutung hat Innovation aus Ihrer Sicht?

Hackl: Aus meiner Sicht ist Innovation enorm wichtig. Allerdings müssen es radikale Innovationen sein, die erfolgreich sind. Sonst verursacht die Entwicklung nur Kosten. Denken Sie an ein Auto vor zehn Jahren und vergleichen Sie es mit einem heutigen: Das kann fast alles allein mittlerweile – vom Spurhalte-Assistenten bis zur Abstandsmessung, ja bis hin zum autonomen Fahren. Das finden wir alles heute ganz selbstverständlich. Die Gefahr bei Innovationen ist, dass wir „more of the same“ machen. Wir brauchen Dynamik und Differenzierung. Deshalb habe ich vor Jahren auf Konzernebene sowohl Innovations- als auch Qualitätsmanagement eingeführt. Beides hat sich bewährt.

Wir wirken sich gesellschaftliche Entwicklungen auf die Lebensmittelherstellung aus?

Hackl: Die Demographie zeigt, dass die Haushalte immer kleiner werden und weniger Mengen brauchen, gleichzeitig aber selbst kochen und dabei wenig Aufwand betreiben wollen. Daher wird im Convenience-Bereich eine Art Komponenten-System in höchster Qualität kommen. Unsere Marken Shan Shi oder Produkte von Inzersdorfer gehen schon in diese Richtung. Da hat der Konsument das gute Gefühl, sich sehr gutes Essen selbst gekocht zu haben und genau in der Menge, die er gebraucht hat.

Was ist Ihre Lieblingsspeise?

Hackl: Das ist eindeutig Fleckerlspeis mit grünem Salat. Und zwar so, wie es meine Mutter daheim macht. Geschmack ist doch ein Teil unserer Sozialisierung. Wobei: Auch Fleischlaberln mit Kartoffelpüree sind auf der Liste ganz oben. Und wenn mir Freunde Wild mitbringen, bin ich glücklich: Ein Maibock ist etwas Herrliches!

Weitere Informationen zum Unternehmen: www.vivatis.at

Über Gerald Hackl

Mag. Gerald Hackl ist Vorstandsvorsitzender der VIVATIS Holding AG. Nach seinem Betriebswirtschaftsstudium war Hackl in der Backwaren- und der Molkereibranche tätig, 2005 übernahm er die Geschäftsführung der efko-Gruppe. Seit 2013 ist der Oberösterreicher bei VIVATIS. Hackl ist außerdem Fachvertreter der Nahrungs- und Genussmittelindustrie sowie Mitglied des Ausschusses des Fachverbands der Lebensmittelindustrie.

  • Dieses Interview ist die gekürzte Version eines Beitrags aus der Zeitschrift „Die Ernährung“, Volume 40, 3-4/2016. Die sechs Mal jährlich erscheinende Fachzeitschrift informiert über aktuelle Entwicklungen bei Lebensmitteln in den Bereichen Wissenschaft, Recht, Technologie und Wirtschaft. Das gesamte Gespräch sowie Informationen zum Abo finden Sie hier: ernaehrung-nutrition.at.

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