Foto: Caecilia Lahner
Sie haben mit dem forum. ernährung heute (f.eh) in den vergangenen Jahren gemeinsam mit Partnern mehrere Kampagnen gegen Food Waste in Österreich umgesetzt. Was hat Sie dazu gebracht? Was sollten die Kampagnen bewirken?
Marlies Gruber: Lebensmittelverschwendung ist ein Thema, das uns alle betrifft. Rund 60 Prozent der vermeidbaren Lebensmittelabfälle entfallen auf die Konsumentinnen und Konsumenten. Den Rest teilen sich Landwirtschaft, Produktion, Handel, Gastronomie und die Gemeinschaftsverpflegung etwa in Kindergärten, Schulen, Kantinen, Krankenhäusern und Altersheimen. Dies ist nicht nur in Österreich so, sondern auch in anderen EU-Ländern: Jedes Jahr landen Unmengen noch genießbarer Lebensmittel im Müll. Mit den österreichweiten Kampagnen gegen Food Waste wollten wir eine Bewusstseinsbildung in der Gesellschaft anstoßen. Uns war es wichtig, zu zeigen, welche Auswirkungen die Lebensmittelverschwendung hat und was jede und jeder Einzelne dagegen tun kann.
Welche Maßnahmen wurden konkret gesetzt? Und wer stand hinter der Kampagne?
Gruber: Die Kampagne wurde im Rahmen des Bildungsclusters „Dialog mit der Gesellschaft“ zu Umwelt, Landwirtschaft und Ernährung umgesetzt. Neben dem f.eh waren die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES), das Ökosoziale Forum, die Bäuerinnen Österreich, das Forschungsinstitut für biologischen Landbau sowie die Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik (HAUP) an Bord. Die Aktivitäten wurden vom Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus (BMLRT), den Ländern und der Europäischen Union unterstützt. Das „Kampagnenpaket“ umfasste kurze Infospots via Info- und Railscreens an häufig frequentierten Bahnhöfen und Haltestellen sowie in den Linien des öffentlichen Nahverkehrs. Zudem wurden Postkarten zur freien Entnahme etwa in Restaurants zur Verfügung gestellt und das Thema über Social Media und klassische Öffentlichkeitsarbeit kommuniziert.
Sie wollen dieses Video sehen? Dann klicken Sie bitte auf den Link unten. Dadurch bestätigen Sie, dass personenbezogene Daten an youtube.com übermittelt werden. Alternativ können Sie das Video direkt auf youtube.com betrachten.
Shortclip zum Nachschauen: Das forum. ernährung heute schafft mit Kampagnen Bewusstsein für Food Waste. Video: forum. ernährung heute/YouTube
Von vergeudeten Ressourcen bis zu Energieverschwendung: Die Folgen von Food Waste auf Umwelt und Klima sind enorm. Welcher Treibhausgasausstoß ist damit verbunden?
Gruber: Die Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) der Vereinten Nationen geht davon aus, dass jährlich rund 1,3 Milliarden Tonnen Lebensmittel entweder als Haushaltsabfall oder entlang der Wertschöpfungskette verloren gehen. Somit wird rund ein Drittel aller weltweit produzierten Lebensmittel weggeworfen oder nicht verwertet. Damit werden auch die in die Produktion geflossenen Ressourcen verschwendet – also alles, was an Wasser, Bodenfläche, Arbeitseinsatz, Produktionsmitteln, Energie, Logistik und Maschinen aufgewendet wurde. Food Waste trägt so auch maßgeblich zu den Treibhausgasemissionen bei. Würde man alle durch die Lebensmittelverschwendung entstehenden Treibhausgasemissionen mit einem Land vergleichen, käme Food Waste global gesehen an dritter Stelle – nach den USA und China.
Deshalb ist die Verringerung von Food Waste auch in den Sustainable Development Goals (SDGs) – den UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung – enthalten. Dabei wird zwischen Food Waste, also der Verschwendung noch genießbarer Lebensmittel, und Food Loss unterschieden. Letzteres sind die unvermeidbaren Verluste entlang der Wertschöpfungskette. Bis 2030 sollen die Lebensmittelabfälle pro Kopf im Einzelhandel und auf Konsumentenebene halbiert werden.
Würde man alle durch die Lebensmittelverschwendung entstehenden Treibhausgasemissionen mit einem Land vergleichen, käme Food Waste global gesehen an dritter Stelle – nach den USA und China.
Marlies Gruber, Geschäftsführerin des forum. ernährung heute
Ein Zwei-Personen-Haushalt in Österreich wirft jedes Jahr genießbare Lebensmittel im Wert von mehreren hundert Euro weg. Was sind die Gründe?
Gruber: Die Ursachen für Lebensmittelverschwendung im Haushalt sind vielfältig: Neben einer fehlenden Einkaufsplanung und dem Unwissen über die sachgemäße Lagerung von Produkten spielt oftmals auch ein situativer Lebensstil, der von Flexibilität und Spontanität geprägt ist, eine entscheidende Rolle. Es fehlt dann schlicht die Zeit, um den vollen Kühlschrank rechtzeitig leer zu essen.
Vielen Konsumentinnen und Konsumenten ist auch gar nicht bewusst, wozu das Mindesthaltbarkeitsdatum gut ist und wie es sich vom Verbrauchsdatum bei leicht verderblichen Produkten unterscheidet. Dazu kommt das fehlende Wissen, wie man übriggebliebene Lebensmittel verwerten oder haltbarmachen kann. Ein Beispiel: Dass sich Eiklar einfrieren und bei Bedarf auftauen und weiterverarbeiten lässt, ist vielfach unbekannt.
Was können Konsumentinnen und Konsumenten tun, um der Verschwendung von Lebensmitteln entgegenzuwirken? Welche weiteren Beteiligten sind hier gefragt?
Gruber: Mit einer klugen Einkaufsplanung, der richtigen Lagerung und kreativen Resteverwertung lassen sich Lebensmittelabfälle daheim nahezu gänzlich vermeiden. Auch das Einschätzen der individuell richtigen Portionsgröße ist relevant, zu Hause ebenso wie in der Kantine und Gastronomie. Hier würde ein Trend hin zu kleineren Portionsgrößen nicht nur eine übermäßige Energiezufuhr drosseln, sondern auch Lebensmittelabfälle vermeiden. Denn auch wenn es zunehmend Angebote zum Mitnehmen von übriggebliebenen Speisen im Restaurant gibt: Nicht alle Menschen möchten das.
Jeder Bereich entlang der Lebensmittelkette ist jedoch gefordert, Verantwortung zu übernehmen – von der Landwirtschaft über die Verarbeitung bis zum Groß- und Einzelhandel und allen am Außer-Haus-Konsum Beteiligten. Nachhaltige Prozesse und Systeme in der Wirtschaft sind zu unterstützen und Lebensmittelabfälle entlang der gesamten Wertschöpfungskette durch Bewusstseinsbildung und Sensibilisierung zu verringern. Ein wichtiger Anstoß können dabei Social-Marketing-Maßnahmen sein, wie etwa unsere Kampagne gegen Food Waste und jene der Initiative „Lebensmittel sind kostbar!“ des Klimaschutzministeriums.
Viele Menschen werfen Lebensmittel weg, sobald das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten ist. Wie stehen Sie dazu? Und wie unterscheidet sich diese Angabe vom Verbrauchsdatum?
Gruber: Leider werden viel zu oft noch einwandfreie Lebensmittel weggeworfen, weil das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten ist. Dabei beschreibt das Mindesthaltbarkeitsdatum ja nur den Zeitpunkt, bis zu dem ein ungeöffnetes Lebensmittel bei angemessener Lagerung seinen Geschmack, aber auch Geruch, Konsistenz, Farbe und Nährwerte unverändert behält. Viele Lebensmittel lassen sich daher auch über das Mindesthaltbarkeitsdatum hinaus noch mit gutem Gewissen konsumieren. Ob ein Nahrungsmittel noch genießbar ist, können Konsumentinnen und Konsumenten mit ihren eigenen Sinnen prüfen. Dafür gibt es eine einfache Devise: Schauen, riechen und schmecken.
Anders verhält es sich mit dem Verbrauchdatum für leicht verderbliche Produkte wie Fleisch, Faschiertes, Fisch oder Rohmilch. Wird dieses überschritten, ist von einem Verzehr abzusehen.
Ob ein Nahrungsmittel noch genießbar ist, können Konsumentinnen und Konsumenten mit ihren eigenen Sinnen prüfen. Dafür gibt es eine einfache Devise: Schauen, riechen und schmecken.
Marlies Gruber, Geschäftsführerin des forum. ernährung heute
Welchen Stellenwert hat die Ernährungsbildung in Kindergärten und Schulen, um Food Waste künftig zu vermeiden?
Gruber: Es ist generell wichtig, in den Schulen Grundlagenwissen über Lebensmittel und eine umfassende Ernährungskompetenz zu vermitteln. Das hat den positiven Effekt, dass man die Schülerinnen und Schüler direkt erreicht und sie die erlernten Inhalte auch zu Hause an ihre Eltern weitergeben können – ähnlich wie beim Thema Recycling vor einigen Jahren. In Volksschulen passiert dies in der Regel im Sachunterricht. In der Sekundarstufe wäre ein verstärkter und vor allem praxisorientierter Ernährungsunterricht wünschenswert. Es fehlt dazu aber leider oftmals die benötigte Infrastruktur – etwa in Form von Küchen.
Das forum. ernährung heute engagiert sich intensiv für Ernährungsbildung und arbeitet mit anderen Organisationen daran, gute Konzepte zu entwickeln. Mit den – im Rahmen eines Runden Tisches – gemeinsam erarbeiteten Handlungsempfehlungen appellieren wir an die Politik, Ernährungs- und Verbraucherbildung strukturell vom Kindergarten bis zum Ende der Schulpflicht zu verankern.
Wie schätzen Sie den Einfluss politischer Initiativen auf die Bekämpfung der Lebensmittelverschwendung in Europa ein?
Gruber: Food Waste und Food Loss sind gesamtgesellschaftliche und politisch hochrelevante Themen – im Hinblick auf die schwankenden Rohstoff- und Energieverfügbarkeiten und deren Kosten ebenso wie vor dem Hintergrund von nachhaltigen Ernährungssystemen und Welthunger. Um dem Ziel, Food Waste bis 2030 zu halbieren und Food Loss zu reduzieren, näherzukommen, wurden in den SDGs der Vereinten Nationen standardisierte Vorgehensweisen festgelegt. Diese ermöglichen es Unternehmen, Food Waste und Food Loss zu definieren, zu messen und offenzulegen. Das Monitoring soll helfen, Problemstellen zu identifizieren. Das ist bereits ein wesentlicher Punkt. Denn nur wenn valide Daten und klare Ziele vorliegen, lässt sich an den richtigen Schrauben drehen. Ein weiterer wesentlicher Hebel liegt bei den Privathaushalten und daher gilt es das Verständnis für den Umgang mit Lebensmitteln wieder zu schärfen. Das ist angesichts der sich weiter öffnenden Einkommens- und Ausgabenschere ohnehin ein Gebot der Stunde. Denn eines ist klar: Lebensmittel sind wertvoll – und gehören deshalb noch viel mehr geschätzt!
Mehr: forum-ernaehrung.at/themen/food-waste
Sie möchten Ihr Wissen zu diesem Thema testen? Auf der Website des forum. ernährung heute erwartet Sie ein Quiz zur Lebensmittelverschwendung und -lagerung.
Dr. Marlies Gruber ist Geschäftsführerin sowie wissenschaftliche Leiterin des forum. ernährung heute und engagiert sich für einen faktenorientierten und wissenschaftsbasierten Diskurs über Lebensmittel, Ernährung und Lebensstile. Die studierte Ernährungswissenschafterin publiziert regelmäßig in Fachmagazinen und ist Autorin von Fach- und Sachbüchern.
Herstellung
Vom gleichbleibenden Geschmack über den sicheren Genuss bis hin zur vielfältigen Auswahl: Erfahren Sie hier, welchen Nutzen die industrielle Verarbeitung von Lebensmitteln für Sie als Verbraucherin oder Verbraucher bringt.
weiterlesenTipps & Service
Lebensmittelverschwendung schadet nicht nur der Umwelt, sondern auch der Geldbörse. Doch wie lässt sich unnötiger Müll vermeiden? Hier finden Sie hilfreiche Tipps – von der Planung über den Einkauf und die Lagerung bis zur Resteverwertung.
weiterlesenMenschen
Welche Trends und Innovationen gibt es in der Lebensmitteltechnologie? Was wünschen sich die Konsumentinnen und Konsumenten? Die Lebensmitteltechnologin und Ernährungswissenschaftlerin Regine Schönlechner liefert Einblicke.
weiterlesen