Foto: ARA/Werner Streitfelder
Herr Hauke, heuer gibt es ein Jubiläum – 45 Jahre Glasrecycling in Österreich. Was waren die größten Errungenschaften seit dem Start?
Harald Hauke: Seit dem Jahr 1977 wurden bereits über 6 Millionen Tonnen Altglas gesammelt und recycelt. Der größte Erfolg ist die Steigerung der Sammelmenge. Zu Beginn kamen rund 30.000 Tonnen jährlich zusammen, heute sind wir bei fast 270.000 Tonnen – also der neunfachen Menge. Pro Kopf werden in Österreich jedes Jahr rund 29 Kilo Altglas gesammelt.
Beim Ausbau der Infrastruktur hat sich ebenfalls sehr viel getan. Wir verfügen über ein flächendeckendes Angebot an Sammelbehältern. Sehr positiv ist auch die seit vielen Jahren enge Zusammenarbeit mit Städten und Gemeinden, den Abfallwirtschaftsverbänden, der Wirtschaft, der Industrie, dem Handel sowie den Konsumentinnen und Konsumenten.
Das heimische Glasrecyclingsystem gilt als Best Practice-Beispiel: Mit 85 Prozent gesammelten Glasverpackungen erreicht Österreich schon jetzt die für 2030 in der EU vorgesehene Recyclingquote. Was steckt dahinter?
Hauke: Dafür gibt es verschiedene Gründe. Einer davon ist, dass wir sehr früh mit dem Sammeln von Altglas begonnen haben. Zudem optimieren wir das Sammelsystem laufend in seinen regionalen und logistischen Strukturen, sodass es sowohl ökonomisch tragfähig als auch ökologisch wertvoll ist und natürlich dem Bedarf der Bürgerinnen und Bürger entspricht. Weiters informiert und motiviert Austria Glas Recycling die Menschen in Österreich auf vielfältige Weise. Im Prinzip ist das Sammeln von Glasverpackungen sehr einfach: Man gibt ungefärbte Glasverpackungen zum Weißglas und gefärbte zum Buntglas.
Leider gibt es immer noch den Mythos, dass der Abfall wieder zusammengeworfen wird. Das wäre technisch und ökonomisch unsinnig. Erstens verarbeitet die Glasindustrie das gesammelte Altglas als Rohstoff getrennt nach Weißglas und Buntglas. Und zweitens: Wofür sollten wir ein Altglassammelsystem mit rund 64.000 Sammelbehältern österreichweit finanzieren, um dann alles wieder zu vermischen? Altglas, das sorgfältig getrennt gesammelt wird, wird stofflich verwertet. Das heißt, zu neuen Glasverpackungen geformt.
Leider gibt es immer noch den Mythos, dass der Abfall wieder zusammengeworfen wird. Das wäre technisch und ökonomisch unsinnig. Altglas, das sorgfältig getrennt gesammelt wird, wird stofflich verwertet. Das heißt, zu neuen Glasverpackungen geformt.
Harald Hauke, Geschäftsführer der Austria Glas Recycling GmbH
Und wo sehen Sie die Herausforderungen beim Glasrecycling?
Hauke: Die größte Herausforderung liegt darin, das Sammelniveau stetig zu heben und die Bevölkerung dazu zu motivieren, weiterhin zu sammeln. Ich hätte gerne, dass keine einzige Getränkeflasche, kein Marmeladeglas und kein Parfumflakon mehr in den Restmüll kommt, sondern dass wirklich alle Verpackungen im Glassammelcontainer entsorgt werden. Wir sammeln derzeit etwa 85 Prozent der Glasverpackungen. 15 Prozent landen leider im Restmüll und sind für immer verloren. Dabei ist das Sammeln von recyclingfähigem Material eine sehr einfache Form, die Umwelt und das Klima zu schützen.
Wie wichtig ist die Öffentlichkeitsarbeit, um das Sammeln zu forcieren?
Hauke: Information und Motivation sind starke Säulen des Erfolgs des österreichischen Glasrecyclingsystems. Austria Glas Recycling und ARA bieten altersspezifische Programme zur Umweltbildung an: für Volksschulen beispielsweise „Bobby Bottle und die Umweltdetektive“ und ARA4kids. Für höhere Schulen gibt es den Experimentalvortrag Glasrecycling mit „Chemie on Tour“. Seit über zehn Jahren sind Austria Glas Recycling und ARA Partner der KinderUni und der KinderUni on Tour in Wien. Weiters arbeiten wir an und mit Fachhochschulen zur Kreislaufwirtschaft.
Für einen funktionierenden Glasrecyclingkreislauf müssen alle Beteiligten an einem Strang ziehen. Was bedeutet das in der Praxis?
Hauke: Für die österreichische Sammelleistung ist die Zusammenarbeit der Stakeholder ein wichtiger Schlüssel. Ein Beispiel: Rund 30 Partner sammeln täglich mit bis zu 100 LKWs Glas. Wir hatten in Österreich schon immer eine Kultur des Miteinanders. Das ist auch ein wesentlicher Punkt, warum wir in vielen Bereichen im Gegensatz zu anderen Ländern so weit vorne sind. Außerdem laden wir regelmäßig zu Stakeholder-Dialogen ein, um gemeinsam Möglichkeiten zur Verbesserung zu erarbeiten.
Das gesammelte Altglas wird – nach einem mehrstufigen Aufbereitungsprozess – eingeschmolzen und zu neuen Glasverpackungen gegossen. Durch die Verwendung von Altglas bei der Glaserzeugung sinken Energieverbrauch und CO2-Emissionen. Welche Innovationen gibt es in dem Bereich?
Hauke: Grundsätzlich lässt sich sagen: 10 Prozent Altglasscherben reduzieren bei der Glaserzeugung die CO2-Emissionen um 7 Prozent und den Energieverbrauch um 3 Prozent. Darüber hinaus gibt es eine Menge Innovationen. Ein Beispiel ist das Leichtglas: Bei dessen Herstellung wird deutlich weniger Energie und Material verbraucht, in Bezug auf Stabilität und Festigkeit kann es selbstverständlich mit konventionellen Glasverpackungen mithalten.
Derzeit läuft das Projekt ZeroCO2Glas, in dem es um die Entwicklung einer CO2-neutralen Glaswanne geht. Die Idee dahinter ist, Behälterglas CO2-neutral zu produzieren. Dazu kommen CO2-freie Rohstoffe oder alternative Rohstoffe zum Einsatz, die eine niedrige Reaktionsenergie haben. Zusätzlich werden ein besonderes Schmelzverfahren und ein verbessertes Ofendesign verwendet. An diesem Projekt ist auch der österreichische Glasproduzent Stoelzle beteiligt.
10 Prozent Altglasscherben reduzieren bei der Glaserzeugung die CO2-Emissionen um 7 Prozent und den Energieverbrauch um 3 Prozent.
Harald Hauke, Geschäftsführer der Austria Glas Recycling GmbH
Die UNO hat 2022 zum „Internationalen Jahr des Glases“ ausgerufen. Warum ist das aus Ihrer Sicht wichtig?
Hauke: Die UNO sieht das „Internationale Jahr des Glases“ als Bekräftigung der globalen Nachhaltigkeitsziele (SDGs). Das Material Glas begleitet die Menschheit seit Jahrhunderten. Ihm wird ein wichtiger Beitrag zu nachhaltigem Konsum und nachhaltiger Produktion zugesprochen. Derzeit ist die Glasproduktion noch energieintensiv. Doch die Glasindustrie macht immense Fortschritte bei der Reduktion des Energieverbrauchs und der Nutzung erneuerbarer Energien.
Mit der Austria Glas Agenda 2030 „Future in Glass“ hat sich Austria Glas Recycling nachhaltige Entwicklungsziele beim Glasrecycling gesetzt. Was hat sich hier bereits getan?
Hauke: Ich möchte drei Bereiche herausgreifen: SDG 4 – nachhaltige Bildung, SDG 13 –Klimaschutz sowie SDG 11 – nachhaltige Städte und Gemeinden. Im Sektor Bildung ergänzte Austria Glas Recycling die seit 2001 laufende Liveshow „Richtig Altglas sammeln mit Bobby Bottle“ an Volksschulen um das Lehrvideo „Bobby Bottle – der zauberhafte Flaschengeist und die wunderbare Welt des Glasrecyclings“. So konnten wir selbst in strengen pandemiebedingten Lockdowns, als Auftritte in Schulen nicht erlaubt waren, Kinder für die Altglassammlung begeistern.
Ein weiteres zentrales Handlungsfeld ist der Klimaschutz, an dem wir mit dem Programm „Grüne Glasrecycling-Logistik“ arbeiten. Im Jahr 2012 haben wir pro Kilometer knapp 90 Kilogramm Altglas gesammelt, 2021 waren es über 100 Kilogramm. Das entspricht einer Steigerung der Sammeleffizienz von 13 Prozent. Den Dieselverbrauch reduzierten wir um 1.170.000 Liter, die Staubemissionen um 85 Prozent und die Kohlenmonoxid-Emissionen um 54 Prozent. Dies gelang durch Optimierung der Sammellogistik, durch regelmäßige Eco-Drive-Schulungen und die laufende Modernisierung der Glas-LKW-Flotten. Green Logistics ist auch im Sinne des European Green Deal ein wichtiger Hebel.
Das führt mich zum dritten Punkt: Sustainable Cities and Communities. Austria Glas Recycling setzt bei der Routenplanung zunehmend auf digitale Unterstützung, damit die LKWs ihre Ziele – die Glassammelbehälter – so punktgenau wie möglich ansteuern und so viel Altglas wie möglich pro Kilometer einsammeln. Beispielsweise werden in gewissen Regionen die Container mit Füllstandsensoren ausgerüstet, an denen zu erkennen ist, ob die Behälter voll, halbvoll oder zu drei Vierteln voll sind. So können die Sammelunternehmen die Touren optimieren.
Im Mai 2021 hat die ARA ein Zukunftspaket zur Kreislaufwirtschaft vorgestellt. Welche Ziele verfolgen Sie damit?
Hauke: Im Prinzip geht es uns darum, dass es ohne Kreislaufwirtschaft keinen European Green Deal gibt. Wir müssen uns entlang der Wertschöpfungskette weiterentwickeln. Die Produktion, der Konsum, die Sammlung, die Verwertung und Digitalisierungsmaßnahmen: Das alles führt am Ende dazu, dass wir die europäischen Sammel- und Recyclingziele erreichen. Das sehen wir als neues Zukunftsmodell. Ressourcen müssen für die Rohstoffsicherheit geschont werden und wir brauchen Innovationssicherheit für die Industrie. Da geht es nicht nur um zwei bis drei Maßnahmen, sondern in Summe um ein Riesenpaket.
Bis 2030 müssen alle Kunststoffverpackungen in der EU recyclingfähig sein. Was braucht es, um dieses Ziel zu erreichen? Welche Rolle spielen das ARA Circular Design und die Digitalisierung der Wertschöpfungskette?
Hauke: Die EU-Recyclingziele stellen bei Kunststoffverpackungen eine große Herausforderung dar. In Österreich werden aktuell 25 Prozent der Kunststoffverpackungen recycelt. Österreich erfüllt damit das derzeitige EU-Recyclingziel von 22,5 Prozent. Um aber das EU-Ziel von 50 Prozent Recyclingquote bis 2025 und 55 Prozent bis 2030 zu erreichen, müssen wir das Kunststoffrecycling verdoppeln. Das bedeutet: Wir müssen bei der Haushaltssammlung noch besser werden, mehr „convenient“ und noch näher an den Bürgerinnen und Bürgern sein.
ARA Circular Design spielt dabei eine wichtige Rolle. „Design for Recycling“ bedeutet, dass Verpackungen so konstruiert werden müssen, dass sie recycelbar sind. „Design from Recycling“ heißt, dass das gesammelte Verpackungsmaterial wiederverwendet wird, um daraus neue Verpackungen zu produzieren. Hier kommt wieder die Digitalisierung ins Spiel: Denn Kreislaufwirtschaft funktioniert nur dann, wenn die Akteure entlang der Wertschöpfungskette Informationen über die Zusammensetzung, Nutzung und Entsorgung der Verpackung austauschen. Das reicht von der innerbetrieblichen Erfassung der Abfallströme bis hin zum QR-Code auf Sammelbehältern, den man einscannt, und dadurch wird im Hintergrund automatisch die Abholung in die Wege geleitet.
Aktuell bringen immer mehr Getränkehersteller Mehrwegglasflaschen auf den Markt. Wie ist der aktuelle Stand in puncto Mehrwegglas und wie sehen Sie die geplante Einführung eines Pfandsystems für PET-Flaschen ab 2025?
Hauke: Grundsätzlich ist es so, dass wir Einweg- und Mehrwegglas als kommunizierende Gefäße sehen. Mehrwegglas wird retour gebracht, gewaschen und wiederbefüllt. Einwegglas geht ebenfalls zurück in den Kreislauf und wird für die Herstellung neuer Flaschen verwendet. Eine Glasfabrik braucht sowieso Scherben, denn eine Mehrwegflasche wird ja auch dort hergestellt. Also Scherben sind immer wichtig und werden sowohl für Einweg- als auch für Mehrwegglas gebraucht. Beide Formate haben ihre Berechtigung.
Die Novelle des Abfallwirtschaftsgesetzes sieht vor, dass ab 1. Jänner 2025 in Österreich ein Pfandsystem für Kunststoffgetränkeflaschen und Dosen eingeführt wird. Derzeit arbeiten Industrie und Handel an der Planung der Umsetzung – wenn diese vorliegt, können wir daraus dann Rückschlüsse ableiten.
Darüber hinaus müssen wir aber auch andere Wege gehen: für mehr Convenience sorgen, im Gewerbebereich intensiver sammeln und die Sortieranlagen optimieren. Wir müssen es schaffen, die Leute so zu motivieren, dass sie die PET-Flaschen auch wirklich getrennt sammeln und nicht in den Restmüll werfen – beispielsweise über unser digitales Anreizsystem. Je näher wir zur Bevölkerung vordringen, umso mehr wird auch gesammelt.
Wir müssen es schaffen, die Leute so zu motivieren, dass sie die PET-Flaschen auch wirklich getrennt sammeln und nicht in den Restmüll werfen – beispielsweise über unser digitales Anreizsystem. Je näher wir zur Bevölkerung kommen, umso mehr wird auch gesammelt.
Harald Hauke, Geschäftsführer der Austria Glas Recycling GmbH
Welche Vorteile sind mit einem digitalen Anreizsystem verbunden? Besteht die Möglichkeit, diese Form der Incentivierung auch für andere Verpackungslösungen einzusetzen?
Hauke: Hier gibt es unterschiedliche Formen von Anreizen. Scannt man seine Verpackungen und wirft sie in den Sammelbehälter, könnte man beispielsweise mit dem Gewinn eines Urlaubs oder dem Sammeln von Bonuspunkten belohnt werden. Unser Sammelsystem ist hoch entwickelt und wir sollten uns deshalb überlegen, wie wir es schaffen, die letzten paar Prozent der Bevölkerung, die noch nicht sammeln, über Prämien oder Preise zu motivieren. So ein digitales Modell wäre auch für Batterien und alle möglichen Verpackungsarten denkbar.
Zum Abschluss ein Blick in die Zukunft: Wie wird sich das Glasrecycling-System in Österreich entwickeln?
Hauke: Ich hoffe weiterhin auf hohe Sammel- und Recyclingquoten – wir arbeiten daran, die Sammelmenge kontinuierlich zu erhöhen und die Bevölkerung zu motivieren. Schwerpunkte setzen wir bei Digitalisierung und Innovation. An dieser Stelle ein herzliches Danke an alle Unterstützenden – Partner, Medien, Konsumentinnen und Konsumenten. Es ist nicht selbstverständlich, dass wir innerhalb Europas so gut unterwegs sind. Wir gehören hier zu den besten „Glassammlern“ und freuen uns, wenn das Thema weiterhin so einen hohen Stellenwert bei den Österreicherinnen und Österreichern hat.
Mehr zum Thema erfahren Sie hier: Nachhaltig und sicher: Glasrecycling in Österreich.
Dr. Harald Hauke ist Geschäftsführer von Austria Glas Recycling und ARAplus, zwei Unternehmen der Altstoff Recycling Austria (ARA). Außerdem ist er Vorstand der ARA. Hauke studierte an der Wirtschaftsuniversität Wien und verfügt über langjährige Erfahrung in der Lebensmittel- und Getränkebranche.
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